REICHENBACH DREHT FÜR SCHWEINFURT

Der allgemein katastrophale Rückgang des deutschen Exports hatte zur Folge, daß dem Reich bald nicht mehr genügend Devisen zur Bezahlung selbst des wirtschaftswichtigen Imports zur Verfügung standen. Die Ver- einigten Kugellagerfabriken in Schweinfurt konnten deshalb schon 1936 die bisher in Schweden als Spezialität hergestellten Spannhülsen für Wälzlager nicht mehr importieren und waren gezwungen, diese für den Eisenbahn- "Taggon- und Maschinenbau wichtigen Teile in Deutschland herzustellen.

Robert Schoettle stand bei den Kugellagerfabriken in besonderem Ansehen, hatte er doch vor einem guten Jahrzehnt schon als erster in Europa für seine Staubsauger-Motoren Kugellager verwendet und damit deren Wirkungsgrad und Lebensdauer erheblich verbessert. Bei Versuchen und technischen Besprechungen über Kugellagerfragen wurde er deshalb oft zu Rate gezogen; sein fachmännisches Urteil hatte Gewicht.

Beiläufig erwähnte bei einer solchen Besprechung ein leitender Ingenieur des Schweinfurter Werkes seine großen Sorgen mit Spannhülsen für Wälzlager.

"Das wäre doch ein Artikel für Sie! Der Bedarf ist groß und dringend. Und die geforderte Präzision werden Sie schon schaffen. Aber Sie müssen sich sofort entschließen und kurzfristig anlaufen."

Da sehr große Stückzahlen gefordert wurden und da die Aufträge auf Jahre hinaus garantiert waren, entschloß sich Robert Schoettle sofort. Seine Stammfabrikation war seit Jahren eingespielt; jetzt mußte er wieder einmal etwas Neues unternehmen, damit das Leben nicht zu bequem würde.

Seine Wendigkeit im Aufbau neuer Fertigungen, bisher an Staubsaugern und ähnlichen Geräten, an Elektromotoren und Getrieben bewiesen, bewährte sich auch bei dieser ausgesprochenen Drehteilefertigung. Der perfekte Dreher von einst konnte in einen Sack voll reicher Erfahrungen greifen, die heute noch gültig waren.

lange vor der gesetzten Eilfrist hatten die Kugellagerfabriken von 20 verschiedenen Spannhülsen-Typen einwandfreie Muster. Der Richtpreis war annehmbar.

Eine Woche später, im Mai 1936, lief in Reichenbach die Spannhülsenfabrikation an, die bald so umfangreich wurde, daß sie im Gesamtumsatz einen wesentlichen Anteil von ca. 20% einnahm.

Daß Robert Schoettles Dreher drehen konnten, sollte sich bald erweisen.

Die engen Toleranzen der Spannhülsen-Kegel wurden von den Schweden geschliffen. Der Auftraggeber schrieb auch für die Reichenbacher Fertigung "Schleifen" vor. Da aber die Laufzeit auf den Rundschleifmaschinen nicht tragbar erschien, versuchte man es mit Feindrehen auf der Schnelldrehbank mit Hartmetallstählen.

Das Ergebnis war ein erstaunlicher Fortschritt; der Auftraggeber war sehr

damit einverstanden, denn die Zeitersparnis belief sich monatlich auf gute 1000 Stunden.

Die Schaffung einer besonderen Abteilung für die Spannhülsenfabrikation und die Erweiterung des Maschinenparks -die Spannhülsen erforderten neben Präzisions-Dreharbeit viel Schlitz- und Gewinde-Fräsarbeiten - geboten erneut die Errichtung weiterer Fabrik- und Lagerbauten.

Das von der angrenzenden Möbelfabrik Köst 193'2' käuflich an Robert Schoettle abgetretene Fabrikgebäude war für diesen Fall sehr willkommen- zumal das zugehörige Grundstück das Areal der Electrostar-Fabrik in glücklichster Weise abrundete und im Laufe der Jahre eine planmäßige und harmonische bauliche Ausweitung der gesamten Fabrikanlage gestattete.

Bis zu dem vom Rüstungsministerium im Zusammenhang mit der Konzentration der Werkzeugmaschinen-Produktion erlassenen Herstellungsverbot im Herbst 1942 haben 300 Drehbänke das Reichenbacher Werk verlassen.

Ein Doppel-Schleifbock mit 1 PS-Motor für 2 Schleifscheiben bis 200 mm Durchmesser und der Vertrieb von Schnellspannstöcken und eines patentierten, horizontal und vertikal drehbaren Maschinenschraubstocks gaben ab 1938 dem Electrostar -Maschinenbauprogramm ein ganz respektables Gewicht.