NACH DEM ZUSAMMENBRUCH DES REICHES

"Jetzt fegen wir erst einmal den Dreck weg und dann machen wir weiter wie einst im Mai!"

So begann im Mai 1945, als Hitler sich ausweglos den Tod gab und Deutschland in Not und Schande zurückließ die Arbeit bei Electrostar' wieder.

Die verhältnismäßig wenigen Trümmer und Scherben, die von den beiden einschlagenden Granaten noch am 20. Apri11945 verursacht wurden, waren bald beseitigt. Die ganze Fabrikanlage wurde von oben nach unten blitzblank geputzt und vom Kriegs- in den Friedenszustand gebracht.

Allzuviel war da allerdings nicht zu tun, denn die Electrostar-Kriegsproduktion war weitgehend identisch mit der Electrostar-Friedensproduktion und sauber ist es in den von Robert Schoettle fast täglich, mindestens aber an jedem Wochenschluß persönlich inspizierten Werkstatt- und Lagerräumen immer gewesen.

Die da und dort in Industriebetrieben nach dem Zusammenbruch des Reiches vorgekommenen Übergriffe und Racheakte ausländischer Arbeitskräfte und der nun befreiten ausländischen Kriegsgefangenen waren bei Electrostar nicht zu verzeichnen. Es hätte ein aufgehetzter Fremdarbeiter der betriebseigenen Lager oder eines benachbarten fremden Lagers wagen sollenn, Electrostar oder seinem Chef etwas zuleide zu tun - er wäre von der

ausländischen Electrostar-Belegschaft eigenhändig verprügelt und verjagt worden, denn diese hatte nicht vergessen, wie gut und kameradschaftlich sie Robert Schoettle behandelt hatte.

Da sich auch die amerikanischen Besatzungstruppen sehr korrekt benahmen und Reichenbach als einziger Ort des von den Franzosen besetzten und anfänglich unter französischer Verwaltung stehenden Kreises Eßlingen "amerikanisch" war und somit zunächst eigentlich "zwischen den Grenzen" liegend - die nächste Kreisstadt Göppingen hatte amerikanische Verwaltung und Reichenbach zählte verwaltungspolitisch zum Kreis Eßlingen - die Folgen der Besatzung kaum spürte, waren die Wochen unmittelbar nach dem Zusammenbruch für Electrostar nicht so aufregend wie für viele aridere Betriebe.

Dies kam dem Werk insofern zugute, daß man recht wenig von ihm wissen wollte. Einige technische Kommissionen der US-Armee und auch französische Ingenieur-Offiziere nahmen in den folgenden Wochen mehrfach die wichtigsten Daten des Werkes auf und interessierten sich sehr lebhaft für die hochwertige Staubsaugerproduktion und den Elektromotorenbau des Werkes. Sie gaben auch bald für den Bedarf ihrer Truppen Bestellungen für Staubsauger und Elektromotoren auf.

Ende Mai 1945 konnte Electrostar den Betrieb bereits wieder offiziell auf- nehmen. Die Staubsaugerproduktion und die Herstellung von Elektromotoren lief unter Verwendung von Lagerbeständen in beschränktem Um- fang an. In den Vordergrund des Interesses rückte aber die Herstellung von Generator-Gebläsen.

Der nach der weitgehenden Zerstörung und Lahmlegung des Eisenbahnverkehrs plötzlich lebenswichtiger denn je gewordene Lastkraftwagenverkehr brauchte dringend Gebläse für die angesichts des Treibstoffmangels längst auf den Betrieb mit Holzgasgeneratoren umgebauten Fahrzeuge. Robert Schoettle, im Kleingebläsebau wohl der älteste und erfolgreichste Hersteller in Deutschland, hatte schon Ende 1944 ein Generatorgebläse auf den Markt gebracht. Mit einer hohen Blasleistung und auswechselbarem Motor für die Niederspannung von 6 oder 12 Volt, wie sie in Kraftfahrzeugen üblich ist, und für Normalspannung zum Anschluß an das 110- oder 220- Volt-Netz besitzt das Electrostar-Gebläse Vorzüge, die es zu einem von den Fahrzeughaltern sehr begehrten Gerät machen.

Das Werk war mit der Herstellung dieser Gebläse und mit der beschränkt angelaufenen Staubsauger- und Elektromotorenfertigung bald wieder voll beschäftigt. Durch seine prompten Lieferungen hatte Electrostar wesentlichen Anteil, wenn die in den Monaten nach dem Zusammenbruch so unerhört stark beanspruchten Generator-Fahrzeuge betriebsbereit blieben und ihre für die Versorgung der Bevölkerung entscheidenden Aufgaben er- füllen konnten.

An neuen Erzeugnissen entstanden in den Monaten nach Kriegsende einige bemerkenswerte Spezialmotortypen und eine transportable Wäscheschleuder in interessanter Bauart mit Schwingungsausgleich.

Im Dezember 1945 wurde durch eine Kommission der amerikanischen Militärregierung für Württemberg-Baden, der neben amerikanischen Offizieren auch Beamte des Landeswirtschaftsamts angehörten, die gesamte Electrostarproduktion beschlagnahmt und unter Bewirtschaftung gestellt. Robert Schoettles Bemühungen gelang es aber, den Bewirtschaftungszwang so weit aufzuheben, daß nur noch die Staubsauger von der Bewirtschaftung erfaßt werden, während alle übrigen Erzeugnisse seines Werkes, für die eine amtliche Herstellungsgenehmigung erteilt wurde, frei von jeder Bewirschaftung blieben.

Ein neueres Electrostar-Erzeugnis: Die transportable war die elektrische Wäscheschleuder

Die nach der totalen Niederlage Deutschlands monatelang lahmgelegte und schließlich mit Genehmigung des Alliierten Kontrollrats für Deutschland nur mit geringen Quoten wieder angelaufene deutsche Kohlen- und Stahlproduktion hatte eine allgemeine Stagnation der Halbzeug- und Fertigteileindustrien zur Folge. die sich nach dem Aufbrauch der Lagervorräte in einem katastrophalen Materialmangel auswirkte. Die durch die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen bedingte gegenseitige wirtschaftliche Abschließung der Zonen machte es lange zu einem schweren Problem. not- wendige Halbzeuge oder Fertigteile von den in der englischen. russischen oder französischen Zone liegenden Lieferfirmen zu erhalten.

Erst die Einführung eines überwachten Interzonenverkehrs mit Aus- und Einfuhrgenehmigungen seitens der Militärregierung und der vom Alliierten Kontrollrat beaufsichtigten Wirtschaftslenkungsstellen brachte Anfang 1946 gewisse Erleichterungen. Es bedurfte allerdings einer denkbar anpassungs- und improvisationsfähigen Büro- und Betriebsorganisation, um die täglich und stündlich auftretenden Schwierigkeiten mannigfachster Art zu meistern.

Electrostar hat sich in Jahren fleißigster Arbeit eine schlagkräftige und elastische innerbetriebliche Organisation geschaffen. die sich nun. da die Sorgen zur Aufrechterhaltung des Betriebes nicht abreißen wollen. bestens bewährt.

Unermüdlich wirkt Robert Schoettle als der starke und zuverlässige Motor des Unternehmens. unterstützt von seinem Sohne Hans und dem kaufmännischen Leiter Karl Ammel. der Anfang 1946 an die Stelle des langjährigen Prokuristen Gebhard Bauer trat, da dieser im Sommer 1945 einen Ruf als höherer staatlicher Verwaltungsbeamter annahm.

Mit Karl Ammel kam einer der ältesten Mitarbeiter wieder zu Electrostar. Er hatte schon 1922 die ersten Staubsauger für Robert Schöttle verkauft und allwöchentlich prompt ein dickes Auftragsbuch verbraucht. Besondere Erfolge hatte er in Berlin erzielt, wo er später die Generalvertretung eines großen Konkurrenz-Unternehmens über- nahm. Nach dem zweiten Weltkrieg aus Breslau geflüchtet, wußte er in Reichenbach an der Fils einen Mann, der ihm wieder einen neuen Wirkungskreis geben würde. Gerne erinnerte sich Robert Schoettle seines guten alten Mitarbeiters und übertrug ihm die durch das freiwillige Ausscheiden Gebhard Bauers freigewordene kaufmännische Leitung des Unternehmens.

Mit einem ausgewogenen Produktionsprogramm zur Befriedigung eines ausgesprochen friedlichen Bedarfs, mit einer erprobten Schar tüchtiger Ingenieure, Kaufleute und Meister und mit einer den besten Stand der Vorkriegsjahre bereits wieder erreichten Anzahl treuer Arbeiter und Arbeiterinnen geht "Electrostar" trotz aller äußeren und inneren Nöte in deutschen Landen zuversichtlich in das zweite Vierteljahrhundert seines Bestehens. Und Richtschnur ist und bleibt des Dichterfürsten Goethe großes Wort : " Wir müssen alle schlechte Arbeit hassen wie die Sünde !"