IN STUTTGART WUCHS EIN BUB HERAN

Als von der nahen Leonhardskirche zu Stuttgart die Glocken das neue, das 20. Jahrhundert anläuteten, wünschte sich Robert Schoettle, wie sich eben ein aufgeweckter 12-jähriger Bub das so denkt, das neue Jahrhundert möge ihm und den Seinen bessere Zeiten bringen.

Vor einem Jahr war die sorgende Mutter gestorben. Mit 6 Kindern stand Vater Schoettle an ihrem Grabe. Zum Glück waren fast alle dem Kindesalter entwachsen. Robert, am 15. Okt. 1888 in der schwäbischen Landeshauptstadt geboren, war der Jüngste und gerade reif genug, um nach der Mutter Tod den Haushalt zu "schaffen". Die älteren Geschwister gingen in die Lehre oder waren schon in Arbeit. Der Vater betrieb als Schreinermeister eine kleine Werkstätte in Stuttgart, die ihn und seine Familie schlecht und recht ernährte.

Nicht daß es all der Tüchtigkeit des Vaters Schoettle gelegen hätte, wenn es im Hause nicht nach Wohlhabenheit roch. Das Handwerk warf damals nicht allzuviel ab und 6 Kinder belasteten den Geldbeutel erheblich, so daß der berühmte Schmalhans oftmals Küchenmeister war. Der kleine Robert mußte sein Frühstück mehr als einmal am Stuttgarter Eberhardsbrunnen in Gestalt eines kräftigen Schluckes Wasser nehmen.

Immerhin hatte aber der Vater, 1850 in Metzingen geboren und von Jugend an zu äußerster Sparsamkeit erzogen, in der Oberen Bachstraße in Stuttgart ein eigenes Haus, das er mit peinlicher Ordnung verwaltete. Sein angeborener Sinn für Ordnung und Recht mag ihm von seinen Vorfahren über- kommen sein, die seit 1655 in dem Schwarzwaldorte Rohrdorf bei Nagold in mehreren Generationen als Schultheißen nachgewiesen sind.

Für den Knaben Robert Schoettle war es manchmal bitter, nicht mit den Kameraden am nahen Nesenbach spielen zu können, da der Haushalt seine ganze Freizeit in Anspruch nahm. Dafür konnte der schmächtige Bub aber besser die Stuben fegen und Geschirr spülen, Wäsche waschen und sogar kochen als seine Kameraden. Und das tröstete ihn.

Auch besser basteln konnte er, vor allem "Elektrisches". Da staunten die Nesenbachbuben, wenn Robert ihnen etwa eine Klingelanlage vorführte, die er Mit einem Salmiak-Element betrieb.

Mit 13 Jahren schon durfte Robert Schoettle die Volksschule verlassen. Er war trotz der starken Belastung durch die häusliche Arbeit oder gerade deshalb bei aller Lust für Bubenstreiche und Allotria in der Schule der Aufmerksamsten und Fleißigsten einer und galt als einer der Besten seiner Klasse. Den Besuch einer höheren Schule, der dem Vater angeraten wurde. konnte dieser seinem Sohne nicht zuteil werden lassen; dazu war er zu sparsam und die Hypothek auf dem Hause zu groß.

Daß Robert Schoettle zu seiner Schulentlassung allein in die Kirche gehen mußte, weil der Vater immer ein freigeistiger Mann war, rundet das Bild einer vom Materiellen wie auch vom Ideellen her gesehen harten Kindheit ab. Daß ihn diese harte Kindheit aber zu einer überaus frühen Selbständigkeit im Denken und Handeln erzog, läßt rückblickend das dem heranwachsenden Buben entgangene Glück verschmerzen.