ERFINDEN -KEIN LEICHTES HANDWERK

Vermutlich eingedenk des alten Spruchs, der liebe Gott gebe es den Seinen im Schlaf, tragen manche Menschen vom Erfinden eine ähnliche Vorstellung herum wie vom Dichten. ..eine ähnlich falsche nämlich. Etwa, heute werde ich wohl die "Glocke" dichten müssen, oder: an jenem taufrischen Frühlings- morgen erfand ich noch vor dem Frühstück den Reißverschluß. Darüber zu lächeln ist gutes Recht, aber selbst Leute, die es besser wissen sollten, reden bisweilen solche Sachen daher.

Das Schlimme ist, daß ihnen manche Beispiele aus dem Leben recht zu geben scheinen.

Schaute da ein namhafter Motorradkonstrukteur eines Tages auf den Scheinwerfer seiner Maschine, wie man halt so schaut, und dabei fiel ihm ein, man könne hier den Tachometer anbringen. Nicht schlecht der Gedanke, denn da braucht man den Kopf nicht so weit abzuwinkeln, wie wenn der Tacho am Lenker wäre. Ob der Einfall seinem Urheber ein Patent und viel Geld eingebracht hat, ist nicht bekannt; aber sicher ist, daß seit damals viele Maschinen mit einem Tacho im Scheinwerfer verkauft worden sind.

Oder jene fesche Münchnerin, welche zuschaute wie in den Läden die Leute, besonders wenn sie Handschuhe anhatten, nur umständlich das Kleingeld vom Ladentisch oder den flachen Zahltellern wegnehmen konnten, und die nun flugs nach Hause eilte, um jenes neumodische Ding zu erfinden, das man jetzt überall an den Ladenkassen sieht: eine Maschine aus Preßstoff mit einem Geldbehälter oben, der sich umkippen läßt, das Geld fällt dann in eine Schalenmulde, aus der es sich mit einem Griff herausnehmen läßt, ob man Handschuhe anhat oder nicht.

Solcher Art sind die Erfindungen, von denen die Sonntagsblätter und andere Märchenbücher zu erzählen wissen ... Pfennigartikel in Millionenauflage, Markgegenstände in Zehntausenderserien - kurz, das Glück aus heiterem Himmel. Immerhin wird der aufmerksame Leser aus dieser Betrachtung herausgehört haben, daß das Glück nur zu dem kommt. der seiner ansichtig zu werden versteht.

Wieviel Motorradfahrer, wieviel Konstrukteure haben ihren Blick über die Wölbung des Scheinwerferrückens gleiten lassen, ohne sich dabei etwas zu denken. Wieviel Männer und Frauen haben im Laden zugeschaut, wie sich jemand mit dem Kleingeld auf dem Zahlteller herumärgerte, und nichts ist ihnen dabei eingefallen. Man muß die offenkundigen Dinge sehen und sich dabei etwas denken können, das heißt, das Richtige denken.

So einfach wie es sich hier liest, scheint das nicht zu sein. Sonst könnte es nicht vorkommen, daß auch in streng technischen Bereichen bedeutende Erfindungen nicht von Fachleuten, sondern von scheinbaren Außenseitern gemacht werden. Und mit dem Sehen und dem Einfall ist's auch noch nicht getan: von der Idee zum Versuch, vom Versuch zum marktreifen Produkt und zur Fertigung, das ist der Weg einer Erfindung. Meistens ist er recht weit. Unserem Motorradkonstrukteur verkürzte er sich insofern, als dieser bloß einen Scheinwerfer und einen Tachometer vom Lager kommen lassen brauchte, um seinen Einfall: "Tachometer im Scheinwerfergehäuse" zu verwirklichen, und später brauchte er nur die Maschinen seiner Fabrik mit solchen Scheinwerfertachometern oder Tachometerscheinwerfern auszurüsten. Da hatte er seinen ersten Markt. Der Münchnerin mit dem Zahlteller wird's schon zäher angekommen sein, von sich die rechte Form dazu zu finden, und erst recht zäh, jemanden kennenzulernen, der das Ding fabriziert und unter die Geschäftsleute bringt.

Ein wirklich weltberühmter Erfinder und Industrieführer hat ausgerechnet. daß nur eine von hundert Ideen es bis zur Patenterteilung bringt, und daß von hundert Patenten wieder bloß eines bis zur Wirtschaftsreife entwickelt wird. Ob ein bedeutender wirtschaftlicher Erfolg sich einstellt, ob man gar das Patent einmal den Großtaten der Technik wird zurechnen können, ist damit noch nicht gesagt.

Es stellt sich also, so dürfen wir folgern, mehr und mehr heraus, daß die Idee gar nicht so wichtig ist, oder anders gesagt: nicht der Eingebung, der Vorstellung, die ein Mensch von einem neuen Ding hat, kommt die hohe Bedeutung zu, sondern dem Nachdenken, dem Probieren, der fleißigen Arbeit und den Rückschlägen, die aus der Idee erst etwas hervorrufen, was der Wirtschaft des Menschen Nutzen stiftet. Das ist heute schwieriger als es früher war, und es wird im Lauf der Zeit noch schwieriger werden.

Gottlieb Daimler konnte noch von sich sagen, er habe das Automobil erfunden. Jedermann wußte, daß er die Versuche durchgeführt und später die Fabrikation eingerichtet hatte. 40 Jahre danach, als Robert Schoettle an der Verbesserung des Staubsaugers arbeitete, boten sich die Verhältnisse schon weniger übersichtlich dar. Das Staubsaugerprinzip war grundsätzlich gelöst und der Staubsauger-Hersteller gab es eine ganze Reihe, in Amerika lmd in Europa.

Auch Robert Schoettle, der das Recht für sich in Anspruch nehmen darf, in Deutschland einer der ältesten Hersteller von Staubsaugern zu sein, hielt sich anfangs an die herkömmliche, durch Patente nicht geschützte Bauart mit außen liegendem Staubsack. Mit jedem Jahr Entwicklungsarbeit aber, ja fast mit jeder neuen Serie änderte sich die bisherige Gestalt um ein weniges, innerlich und äußerlich.

Dem erstmals von Schoettle angewandten Schalter im Griff und dem Zweiwegehahn zum Anschluß eines beweglichen Saugschlauches folgte eine bessere Gestaltung der Saugflügel, die schwingungsfreie und geräuscharme Befestigung des Staubsaugermotors, und schließlich Ende 1925 die patente Lösung des Staubsaugers mit höherem Gebrauchswert.

Bei dieser Konstruktion waren ,,3 Geräte in einem" vereint, nämlich Staubsauger, Bohner und Antriebsaggregat für Küchenmaschinen. Zudem wurde erstmals die 3-fach-Stufung der Motordrehzahl und die dadurch mögliche Regulierung der Saugkraft angewandt.

So entstand aus den unablässig verfolgten und verwirklichten erfinderischen Ideen ein Gebilde, das im Prinzip wohl Ähnlichkeit mit der Urform hatte, in der Ausführung hingegen ein anderes Gesicht trug, ein schöneres Gesicht, ja ein umwälzend neues Gesicht und einen vervielfachten Gebrauchswert dazu. Wie liegen nun die Dinge heute und in der Zukunft?

Für alle Zeiten wird der verantwortliche Mann eines Unternehmens das Kommando für die technische Entwicklung haben. Aber er kann keineswegs alles allein machen, gerade heutzutage hält er nach allen Seiten Fühlung. Schon während der Entwicklung sind in Umrissen die Fertigungsstufen zu beachten; Fragen des Rechtsschutzes mengen sich ein; mehr denn je hat man heute nach erhältlichen Werkstoffen zu konstruieren. Das gibt der Entwicklungsarbeit ein neues Profil, ein anderes sicher als vor 5 oder gar 25 Jahren.

Immer mehr wird das Entwickeln zu einer Gemeinschaftsarbeit, bei der eigentliche Erfinder gegen die Gesamtleistung zurücktritt. Ist er damit über- flüssig geworden? Nein. ..aber man wird gleich zugeben, daß er es in einer sich von Tag zu Tag mehr verkomplizierenden Welt nicht leicht hat. Sinn und Erfolg einer Erfindung liegen in dem Nutzen, den sie der Technik und der Wirtschaft bringt. ..und den spendet sie. von Blitzerfindungen wie dem Tachoscheinwerfer und dem Zahlbrett abgesehen, eben erst, nachdem sie, immer wieder in Gedanken durchgeknetet, in Versuchen geschunden, eine endgültige und brauchbare Form gefunden hat.

Die Zwischenstadien der Entwicklung sind nun zwar für den Fachmann höchst interessant und lehrreich, aber für die Allgemeinheit wertlos. Auf diesem Weg von der Idee über die erste Verwirklichung im Versuch bis zum fertigen, marktreifen, auf Serienherstellung entwickelten Produkt lauern unzählige Klippen. Das vorhin gezeichnete Verhältnis von 10000 Ideen zu 100 Patenten und 1 Produkt hebt diesen Tatbestand so treffend hervor wie ein guter Rahmen das Bild.

Erfinderschicksal ?

Vielleicht. Selten. Bin und wieder. Sonst aber deckt man mit diesem sentimentalen Wort nur einen Mangel zu. Einen Mangel an Kapital manchmal, häufig aber Mangel an Kenntnissen und Fähigkeiten; vor allem an der Fähigkeit, vor Widerständen nicht zu kapitulieren, sondern sich erst recht durch- zubeißen. An den Steckengebliebenen liegt es, wenn Ingenieure mißtrauisch den Kopf heben, sobald die Rede auf die Erfinder kommt. Poeten im Raume der Technik, aber schwer unterzubringen. Kann man unter den Namen auf die Besuchskarte setzen: Erfinder, oder: Dichter? Man kann es nicht. .. so sehr Dichter und Erfinder unbezweifelbar Vorhandene Wesen Sind.

Das holde, unzutreffende Märchen aber, das Einfall und Vollendung auf die gleiche Stunde legen und alle Mühe unterschlagen haben will, geht auf jenen alten Chemiker zurück, der in der Tat eine wichtige Strukturformel träumte und auch noch so unvorsichtig war, das zuzugeben. Er träumte sie freilich nicht so, wie unsereins Von Löwen und dem blauen Meer träumt, sondern als Ergebnis einer unsäglich mühseligen Gedankenarbeit. ..Stunden oder Tage später hätte er die Formel auch in der Vorlesung oder im Labor gefunden, so aber hatte das auch im Schlaf nicht rastende Gehirn unbewußt die Sortierarbeit geleistet, aus dem Dickicht der Gedankenverbindungen die richtige herauszufinden.

Ob man es mit Edison hält, der für das Erfinden die Formel: 1 Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration aufstellte, oder mit Prof. Junkers, der der Idee nicht mehr als einen Anteil von 5 Prozent am fertigen Produkt einräumen wollte, ...es ist offensichtlich nicht die Idee, die die neuen Dinge in die Welt setzt, sondern die unverdrossene Arbeit. Daran ist nicht zu rütteln. Die Idee, sie hängt nur als ein kleines, unscheinbares Klümpchen Geist am schweißgetränkten Produkt. So will es die Gerechtigkeit der Welt. Der arme Schelm von Erfinder, der nichts hat als seine Idee, kann betrübt zusehen. Geschieht ihm recht, sagt der Fleißige, der Hartnäckige, der Erfolg- reiche. Was ist schon eine Idee ohne die Ausführung? Ein Keim, bestenfalls. Kein Mensch weiß, was daraus wird ...ob überhaupt etwas daraus wird.

Die Gerechtigkeit der Welt aber hat es an sich, daß sie sich nicht nur einer Seite zuneigt. Und wenn von hundert Ideen nur eine zu einem Patent führt, und von hundert Patenten nur eins eine Bedeutung erlangt - ohne den Keim, ohne den schöpferischen Gedanken, ohne das geheimnisvolle Wunder des Geistes wären sie nicht auf der Welt. Ohne Keim keine Pflanze, ohne schöpferische Gedanken kein Fortschritt. ..auch im Kleinen nicht.

Fußt auch die Weiterentwicklung bekannter Erzeugnisse in ihren Einzelheiten auf Bekanntem, so sind hier schöpferische Gedanken ebenso nötig, nur sind die Grenzen enger gezogen, sie sind mehr auf den einzelnen Gegen- s1and gerichtet.

Was ist schon besonderes an einem Staubsauger, mag mancher fragen. Ein Staubsauger ist doch etwas, was längst wenige Jahre nach seinem ersten Erscheinen aufgehört hat, ein Problem zu sein. Stellt man sich aber vor, daß ein Staubsauger aus 984 Einzelteilen besteht, daß sein Gebläse zwar möglichst viel Staub und Schmutz ansaugen soll aber dabei nicht verstauben und verschmutzen darf, daß sein Elektromotor möglichst wenig Geräusch machen und staubunempfindlich sein soll, alles auf kleinstem Raum und bei niedrigstem Gewicht und noch niedrigerem Preis, dann wird jeder Fachmann zugeben, daß eine harte und in die Tiefe gehende Entwicklungsarbeit notwendig ist, um all diese Forderungen zu befriedigen. Was in so einem bis ins Letzte hochausgenützten Staubsauger steckt, das merkt erst der, der ihn auftragsgemäß nachbauen soll.

Es ist nichts Geringes, was zur Entwicklung und zur erfolgreichen Produktion eines guten Staubsaugers im allgemeinen und des "Electrostar" im

besonderen gehört. Hierzu gehört erst der einsame Gedanke, dann der Mut des Wagens, und die Zähigkeit, alles zum guten Ende zu führen. . . nebst jenem Quentchen Glück, ohne das alles nichts wird.