ELECTROSTAR IM ZWEITEN WELTKRIEG

"Kinder, Hitler bedeutet Krieg!"

Dieses Wort, das Robert Schoettle am 30. Januar 1933 zu seinen beiden damals 13- und 15jährigen Buben sagte, wurde im August 1939 blutige Wirklichkeit.

Weit davon entfernt, nicht national zu denken und zu handeln, widerstrebte es ihm als Pazifist, sich der Rüstungsmaschine anzubieten. Sein Unternehmen weigerte sich freilich nicht, Auflagelieferungen zu übernehmen, ja, es erledigte diese pünktlich und gewissenhaft. So gewissenhaft sogar, daß der Einrichtungsaufwand für eine diktierte Flakgranaten-Fertigung ein Mehrfaches des Fertigungserlöses betrug, weil diese Granaten nach wenigen Monaten durch neue ballistische Erkenntnisse überholt waren und die Fertigung deshalb eingestellt wurde.

Robert Schoettle wollte am Kriege nicht verdienen und hat sich auch nicht an ihm bereichert. Seine Umsatzkurve, die von 1938 an ziemlich genau waagrecht verläuft, beweist es. Er hat es auch abgelehnt, seinen Betrieb für ausgesprochene Rüstungsproduktion zu vergrößern. Lockende Angebote auf übernahme von Fabrikbetrieben innerhalb Württembergs und in den zu Beginn des Krieges von Deutschland besetzten Gebieten hat er in bewußter Erkenntnis und klarer Vorausahnung der politischen Entwicklung glatt ab- geschlagen.

Der Betrieb war mit der Herstellung der im Krieg und Frieden gleicher- maßen benötigten Erzeugnisse, mit Spannhülsen für Wälzlager, Drehbänken, Schleifböcken, Maschinenschraubstöcken und Elektromotoren weit- gehend ausgelastet, zumal bis zum Jahre 1942 die Staubsauger-Produktion mit schwer erkämpfter offizieller Genehmigung weiterlief. Bis zum Kriegs. ende hat Electrostar laufend und insgesamt 35000 Staubsauger hergestellt.

Der Verlust zahlreicher tüchtiger junger Arbeiter. die als Soldaten an die Fronten gingen und von denen 12 die Reichenbacher Heimat nicht mehr sahen. forderte von Robert Schoettle und seinen Mitarbeitern höchste Anstrengungen.

Ausländische Arbeitskräfte aus Frankreich. Belgien. Jugoslawien. Holland, Polen. Ungarn, Italien und Rußland, die bei Electrostar als Menschen genau so behandelt wurden wie die deutschen Arbeiter, mußten angelernt und in die Geheimnisse der hochgezüchteten Fertigung eingeweiht werden. Sie fühlten sich bald zu Hause und leisteten willige und gute Arbeit.

"Sei Mensch und achte Menschenwürde!" Dieses Wort hat Robert Schoettle in seinem Verhältnis zu den ausländischen Arbeitskräften zur Richtschnur genommen.

Obwohl es verboten war, besorgte er für sie zusätzliche Lebensmittel. Kleider und Schuhe; er errichtete für russische und polnische Arbeiterinnen sowie für französische und belgische Kriegsgefangene gut ausgestattete betriebseigene Lager, die bei mehrfacher Inspektion durch das Internationale Rote Kreuz als mustergültig bezeichnet wurden.

Wo es während des Krieges noch an Männern fehlte, da sprangen die tapferen Reichenbacher Frauen ein.

Immer schon war der Anteil der Frauen im Betrieb mit 30-40% ziemlich hoch. Im Kriege stieg er noch an und' manche Maschine, die das Reservat eines guten Facharbeiters schien, wurde zufriedenstellend durch eine Frau bedient.

Die Werkanlagen wurden während der ganzen Dauer des Krieges von Luft- angriffen verschont. Reichenbach war kein lohnendes Ziel für die Bomber. ströme, die Deutschlands Niederlage entschieden.

Die Flammen, die in einer Oktobernacht 1944 den ein Jahr zuvor fertiggestellten Elektromotoren-Montagebau teilweise zerstörten und dem auch das besonders wertvolle, mit modernsten Geräten ausgestattete Prüffeld zum Opfer fiel, waren die Folge einer Unvorsichtigkeit beim überhitzen eines Ofens.

Als am 20. April 1945 die kämpfenden Fronten des Krieges näher gerückt waren und amerikanische Artillerie Reichenbach beschoß, wurde das Werk von 2 Granaten getroffen. die glücklicherweise keinen großen Schaden an- richteten und keine Menschenleben forderten. Beim Beschuß des Ortes kamen jedoch 6 Menschen ums Leben.

Die pfeifenden Geschosse der amerikanischen Artillerie kündeten unverkennbar das dicht bevorstehende Ende des Krieges an. denn an einen deutschen Widerstand im Neckar- oder Filstal oder im benachbarten Schurwald war nicht mehr zu denken.

In den frühen Morgenstunden des 22. April 1945 trafen die ersten amerikanischen Kampftruppen, motorisierte Infanterie. in Reichenbach ein und besetzten den Ortskern. Sie kamen von Göppingen her und konnten den Ort ohne Kampf passieren.

Die ersten amerikanischen Soldaten, die bei Electrostar Einlaß begehrten, fanden ein so gut wie völlig intaktes Werk vor, denn die Brandzerstörungen vom Oktober 1944 waren inzwischen beseitigt.

Der Krieg war vorbei! Der Friede wird noch lange auf sich warten lassen!